12 – Angst oder Freiheit (1. Grundlegung)

Nach der nächtlichen Einkehr bei Dietrich Bonhoeffer und dem „theologischen Plug-In“ will ich weiter in die Tiefe bohren und ans „Eingemachte“.

Was ist dieses „Eingemachte“?
Als leidenschaftlicher Wortspieler definiere ich es für mich kurzerhand einmal als das, bei dem ich mich selbst einmache – die Scheißangst also, um es ganz unmissverständlich zu sagen.

Angst ist ein Dauerthema, das wir als Menschen niemals loswerden. Und wo wir sie loswerden wollen – durch unser Streben nach Stärke, Überlegenheit, Erfolg und und und … da machen wir sie nach meiner Erfahrung und Überzeugung in der Regel nur noch stärker – bei anderen und auch bei uns selbst, weil hier subtile Wechselwirkungen die Regel sind.

Munchs „Der Schrei“
Ich kann das bekannte Bild nicht kunstgeschichtlich einordnen und nehme es hier lediglich als für mich eindrücklichstes Beispiel einer Visualisierung der Angst.
Was sich mir hier aufdrängt, ist die Frage nach der Masse:
Zeigt sich die Angst in unserer Zeit nicht vornehmlich als bedrohliches Massenphänomen? Warum steht dann hier ein Einzelner weitgehend allein da? Meine Antwort-These wurzelt in der Unterscheidung von Masse und Gemeinschaft. In der Masse ist der Einzelne allein. In der Gemeinschaft nicht. Darum wird die Angst in der Masse geschürt, während sie in der Gemeinschaft überwunden werden kann.

Meine Diagnose für eine wesentliche Wurzel vieler Übel, die uns in die multiplen Dauerkrisen unserer Zeit geführt haben und zu ihren Sklaven macht, ist ein falsches Verständnis von Angst, das verheerende Wirkungen zeitigt.

Wir bekämpfen die Angst und betrachten sie als Feind,
statt innezuhalten und selbstkritisch zu fragen zu beginnen,
was sich da in uns selbst zusammenbraut
und dann gemeinsam nach Wegen aus der Angst zu suchen.
So reagiert die panische Masse, die die Chancen der Gemeinschaft vergessen oder noch nicht entdeckt hat.

Um nicht missverstanden zu werden:
Es gibt sehr viel, vor dem wir uns wirklich fürchten müssen.
Beispiele dafür sind überflüssig, weil wir sie im Überfluss täglich erleben.

Aber Angst ist etwas in uns selbst, das wir deshalb nicht äußerlich bekämpfen können, sondern in uns selbst überwinden müssen.

Das ist keine leichte Aufgabe, aber etwas, das mit anderen gemeinsam geübt, gelernt und praktiziert werden kann. Es ist eine – im wahrsten Sinne des Wortes – gemeinsame LEBENSaufgabe.

Aber wo beginnen?
Dort, wo die Angst ihre Wurzel hat: im mir selbst!

In Bezug auf mich selbst habe ich da schon einiges zusammengetragen. Das gehört auch hier auf den Tisch des Hauses, wo

jetzt schon!

die Flasche mit dem Schampus steht.
Sie steht dort natürlich als Symbol, das ich schon manchmal in sehr realen Manifestationen erleben durfte:

Der Preis für den Weg durch die Angst ist die Freiheit.

In klassischer Bibel-, Kirchen- und Theologenterminologie:
Der Weg zur Auferstehung führt über das Kreuz.


Eine immer wieder wichtige Nebenbemerkung
nur für die, die hier Fragen oder Probleme sehen:
Man kann Zusammenhänge des Glaubens auf verschiedene Weise ausdrücken:

1. mit dem Fokus auf den Begriffen und Inhalten in ihrem ursprünglichen historischen Kontext
2. mit dem Fokus auf der sich in ihnen sich abzeichnenden Lebensdynamik.

In der Praxis wird meistens ein Kompromiss gesucht, der alle halbwegs zufriedenstellen soll, manchmal aber weder Fisch noch Fleisch zu sein scheint.
Ich fokussiere stärker auf die Seite der Lebensbezogenheit, weil ich Gottes Wort zuerst als Evangelium, als befreiende Anrede und Einladung zu einem Leben mit „Christus für uns heute“ (Bonhoeffer), sehe.
Dabei kann es zwischen den unterschiedlichen Zugangsweisen zum Glauben durchaus Irritationen geben.

Deshalb noch einmal zur Klarstellung:
Ich behaupte nicht, dass die Begriffe Angst und Freiheit mit denen von Kreuz und Auferstehung identisch sind und einfach gleichgesetzt werden sollten. Kreuz und Auferstehung beinhalten einen Mehrwert, der m.E. nicht so einfach ausgeschöpft werden kann und darf.
Aber
als konkrete Speise für die nach Antworten auf zentrale Fragen ihres Lebens in unserer Zeit Hungernden, möchte ich ihnen in meiner Verkündigung etwas anbieten, was sie aufnehmen, verdauen und aus dem sie – so wie auch ich hier in der Zeit meiner Tumorerkrankung – Kraft schöpfen können. Oder sollen sie gezwungen werden, immer die ganze Speisekarte zu konsumieren?

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