Wie läuft das im Advent?

1

Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.

Mal abgesehen von dem letzten Wort scheint dieser Wochensspruch für den 3. Advent aus Jesaja 40 recht gut in die Adventszeit zu passen. Wir sind wie alle Jahre wieder auf dem Weihnachtsweg. Voller Erwartungen auf das Fest der Liebe, wie es gern und oft genannt wird. Und vielleicht auch etwas bange, wie das denn dieses Mal werden wird.

Die Adventszeit ist bei uns wie keine andere Zeit des Jahres von Bräuchen und Vorstellungen geprägt – von Kerzen und Engeln, von Tannengrün, von vertrauten Liedern und von Plätzchenduft, von Kartenschreiben und Geschenke einpacken, von so viel Heimlichkeiten und von Kalendertürchen, die wir in diesen Wochen täglich erwartungsvoll öffnen.

Bereitet dem Herrn den Weg. Alle Jahre versuchen wir wieder auf den altvertrauten Wegen von einem Adventssonntag zum nächsten durch die dunklen und kalten Dezemberwochen zu gehen. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. Und dann erwarten und hoffen wir, dass das Christkind ankommt, dass es bei uns einkehrt und lauter Freud und Wonn‘ mit sich bringt.    

Die Adventszeit ist in unserer Gesellschaft nach wie vor von den Vorstellungen und Erwartungen einer seligen Kindheit bestimmt. Die weihnachtliche Werbung lässt daran keinen Zweifel. Nur allzu gern tauchen die meisten von uns – wenigstens einmal im Jahr – in diese heile Welt ein. Weil wir es sehr wahrscheinlich sehr nötig haben.

Aber was erwarten wir wirklich, wenn wir ganz nüchtern sind?
Hier kommt dieses merkwürdige letzte Wort aus unserem Wochenspruch ins Spiel: Der Herr kommt gewaltig.

Das klingt gar nicht adventlich, scheint aber sehr wohl die Grundstimmung unserer Zeit zu treffen. Wir sehen manches mit Gewalt auf uns zukommen und schon jetzt über uns hereinbrechen. Manches, das unser gewohntes Leben gewaltsam in Unruhe versetzt und unsere Herzen gewaltig aufwühlt.
Der Tsunami, der zu Weihnachten 2004 im Indischen Ozean losbrach und mehr als eine Viertelmillion Menschen in den Tod riss, ist zu einem Symbol für immer neue Katastrophen geworden. Jetzt bedroht uns die vierte Coronawelle. Manche reagieren mit Unwillen auf die öffentlichen Schutzmaßnahmen und verursachen damit noch mehr Gewalt. Das regt uns auf. Von Hoffnung und vom Frieden auf Erden ist sehr wenig zu sehen. Nur die Sehnsucht danach, die spüren wir deutlich.

So wird auch und gerade diese Advents- und Weihnachtszeit zu einer Zeit der Kontraste und Widersprüche.
Die entscheidende Frage dabei ist: Was oder wer widerspricht hier wem? 
Widersprechen die gegenwärtigen Erfahrungen unseren Adventserwartungen?
Erweisen sich unsere Adventserwartungen vor dem Hintergrund einer dunklen und bedrohlichen Wirklichkeit als hohler Schein und leere Illusionen?
Oder widerspricht die biblische Adventsbotschaft den Erfahrungen einer trostlosen Gegenwart? Bringt sie Licht, Leben und Liebe in das Dunkel und weckt dort neue Hoffnung und Lebenskraft?

Das sind zwei ganz gegensätzliche Möglichkeiten. Welche davon wahr wird, erweist sich in jeder und jedem einzelnen von uns jeden Tag aufs neue.  Entscheidend ist dabei, welcher Geist, welche Gedanken, welche Worte uns beseelen und bewegen. Das aber, müssen wir nicht dem Treiben irgendwelcher Zufälle überlassen. Das können wir selbst ins Gebet nehmen.

Gott, du Schöpfer des Lebens:
Dunkle Erfahrungen und Ängste drängen sich um uns herum.
Hilf, dass sie uns nicht beherrschen.
Herr, erbarme dich!

Christus, du Bringer der Hoffnung:
Deine Worte sind voller Licht und Wahrheit.
Hilf, dass sie in uns aufgehen und uns leiten.
Christus, erbarme dich!

Heiliger Geist, du Macht der Liebe:
Wir stehen zwischen Licht und Finsternis.
Erfülle und bewege uns durch deine Kraft.
Herr, erbarm dich über uns!

2.

Die Adventsbotschaft ist weiter, als wir meistens annehmen. Und sie wirkt tiefer als wir oftmals denken.
Der Anfang und Ursprung der Adventsbotschaft vom helfenden und heilenden Kommen Gottes in unser Leben findet sich bei den Propheten. Hören wir, wie Jesaja seinem unterdrückten und verstörten Volk das Kommen und die Nähe Gottes ansagt:

Jes 40,1-11: Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.
Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Das ist die adventliche Weissagung des Jesaja aus dem 6. Jahrhundert v.Chr.:
Gott kommt mit einer Macht und Herrlichkeit, die den Gewalten ringsumher widerspricht. Die ihnen kraftvoll widersteht und die Menschenherzen und damit auch ihre Verhältnisse zum Guten wendet.

Wie geht man mit so einer Weissagung um?
Die entscheidende Frage ist nicht: Stimmt das oder stimmt das nicht? Es geht hier nicht um Naturgesetze.
Die entscheidende Frage ist: Lassen wir Menschen uns davon bewegen, oder lässt uns das kalt?
Werden wir selbst ein bewegender Teil dieses Prozesses oder bleiben wir unbeteiligte skeptische Zuschauer, an denen das alles vorbeigeht und die nichts davon mitkriegen?
Der Prophet wirbt mit seiner Adventsbotschaft ausdrücklich um ein Hören, das sich bewegen lässt.
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.
In diesem Wort steckt sehr viel. Das Ist keine Prognose kommender Dinge. Das ist der erste Schritt zu einer Wende – einer Wende von Skepsis und Verzagtheit und schwelendem Zynismus hin zu neuem Vertrauen und Lebensmut und wieder aufkeimender Hoffnung.

Unser Wort trösten hängt eng mit Treue und Vertrauen zusammen. 
Gott kommt nicht wie der Weihnachtsmann mit einem Rentierschlitten vom Himmel herab. Gott kommt, wo Menschen Trost erfahren und in ihnen neues Vertrauen wächst.
Jesus hat das später so gesagt: Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammenkommen, da bin ich mitten unter ihnen.  (Mat 18,20) Er lebt uns Gottvertrauen vor, er lädt zum Glauben ein und bringt uns Gott dadurch nahe.
Das verändert die Lebenswirklichkeit der Menschen, die sich davon bewegen lassen.
Und mehr noch: Das macht diese Menschen auch bereit und fähig, in der Trostlosigkeit und Dunkelheit ihrer Umgebung zu einem Licht zu werden. So können sie das werden, was Jesaja in unserem Wochenspruch vorgibt: Wegbereiter des kommenden Gottes.

Das wird man nicht nebenbei. Und das wird man auch nicht schon damit, dass man einen kirchlichen Beruf ergreift. Dazu gehört eine innere Offenheit für Gottes Kommen, wie sie in der letzten Strophe des Adventsliedes Macht hoch die Tür, die Tor macht weit besungen wird:

Komm, o mein Heiland Jesu Christ,
Meins Herzens Tür dir offen ist.
Ach zieh mit deiner Gnade ein;
Dein Freundlichkeit auch uns erschein.
Dein Heilger Geist uns führ und leit
Den Weg zur ewgen Seligkeit.

3

Wer sich auf diesen Weg begibt, hat es nicht immer leicht.
Aber er oder sie kann eine ungeheure Freiheit erfahren: Eine neue Freiheit von den eigenen Ängsten und von den persönlichen Eitelkeiten.
Und auch eine Befreiung aus der Abhängigkeit vom Urteil anderer, die ihn nicht verstehen und ihm deshalb falsche Absichten und zweifelhafte Motive unterstellen.   

Einer der das alles gelebt und erlebt hat, ist Paulus, der große Apostel und Wegbereiter Jesu, der den neuen Glauben von Asien nach Europa gebracht hat. Er schreibt über sein neues Selbstverständnis als Christ und Apostel:

1.Kor4,1-5: Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist’s aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.

Paulus spricht oft vom neuen Menschen. Für ihn bedeutet das Leben als Christ – wie wir heute sagen würden – eine neue Identität gewinnen.
Ein Leben in der Freiheit des 1. Gebotes: Keine anderen „Götter“ mehr! Nichts und niemandem untertan sein – und gleichzeitig ein Diener Christi.
Das lateinische Wort für Diener heißt Minister.    
Ministersein ist eine sehr große und verantwortungsvolle Aufgabe. Und da man bekanntlich nicht alle Wünsche erfüllen und nicht alle Interessen bedienen und es nicht allen Menschen recht machen kann – das wissen wir nur zu gut – ist so ein Minister und Wegbereiter auch ständiger Kritik, häufigen Unterstellungen und manchmal auch Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt. Das haben schon die Propheten erlebt. Das hat Paulus besonders bei den Korinthern erlebt. Und das erleben wir in diesen Tagen der Coronakrise gerade auch hier in Sachsen.

Wieder stellt sich die Frage: Wie kann man damit umgehen?
Paulus bringt es auf den Punkt. Auf den Punkt, auf den auch Jesus schon in seiner Bergpredigt hingewiesen hat: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. (Mat 7,1).
Das eigensinnige und engherzige Urteilen und Richten über andere Menschen ist es, das die Menschen gegeneinander aufbringt, das Ängste schürt, das feindselige Reaktionen und Gegenreaktionen hervorruft, das andere Menschen verteufelt, das damit den Frieden stört und im schlimmsten Fall Leben zerstört.

Damit schließt sich der Kreis unserer adventlichen Bersinnung:
Wenn wir das wahre Weihnachten suchen und erleben wollen,
wenn wir die große Verheißung vom Frieden auf Erden nicht nur hören, sondern auch leben und beleben wollen,   
dann müssen wir dieses Wort beherzigen: Richtet nicht! Hört auf damit!
Und fangt an, mit den Augen Gottes zu sehen und nach seinen Worten zu handeln.     

Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.
Amen.

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