1.
Ostern ist das spannendste aller Feste. Spannend in einem doppelten Sinne:
Spannend im Sinne der Anspannung zwischen Suchen und Finden: Sind es (nur) die Ostereier, oder gibt es zu Ostern noch mehr zu entdecken?
Und spannend im Sinne der Spaltung zwischen verschiedenen Gegensätzen und Widersprüchen: Es geht um den Gegensatz von Tod und Leben. Und es geht um den Widerspruch zwischen Glauben und Zweifel.
Ostern ist ein Fest das die Menschen spaltet: Die Einen erzählen von der Auferstehung Jesu und dem Sieg des Lebens über den Tod. Die Anderen haben dafür kein Verständnis und reden vom Osterhasen, der jetzt hauptsächlich für die Kinder bunte Eier versteckt.
Für uns Christen ist Ostern das Ereignis, das unseren Glauben begründet. Die alte, selbstverständlich und unumkehrbar erscheinende Reihenfolge von Leben und Tod wird außer Kraft gesetzt. Im Mittelpunkt steht die Osterbotschaft: Jesus ist auferstanden. Sein Grab ist leer. Er ist zuerst den Frauen, die den Toten in seinem Höhlengrab ehren wollten, erschienen. Danach seinen Jüngern und dann vielen anderen. Der Tod ist besiegt. Die Herrschaft des Gottessohnes hat begonnen. Jesus lebt, mit ihm auch ich (EG115). Und wer sein Wort hört und glaubt, der ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen (Joh5,24).
Das ist der Inhalt der Osterbotschaft, die das Leben und die Welt verändert hat. Zunächst das Leben der Jünger. Die Angst und die Verzweiflung über das schmachvolle Ende ihres Meisters wurde plötzlich und unerwartet gestoppt. An ihre Stelle trat eine ganz neue Gewissheit und Freude: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden (Luk24,34). Und das war eine Freude, die allem Volk widerfahren (Luk2,10) sollte.
Man mag über die Ostererzählungen denken, wie man will. Eins lässt sich nun wirklich nicht bestreiten: Was da erzählt wird, hat eine weltgeschichtliche Dynamik erzeugt, die sich bis zu uns hin ausgebreitet hat und weiter ausbreitet. Wir feiern auch heute nach zweitausend Jahren noch das Fest der Auferstehung. Der österliche Jubel, das immer wieder gesungene Halleluja! – Gelobt sei Gott! – ist nicht verstummt. Im Gegenteil: Immer wieder neue Generationen auf der ganzen Erde stimmen darin ein und finden darin Freude, Kraft und Hoffnung.
Das ist die zentrale Wahrheit und Gewissheit unseres Glaubens.
Es gibt aber auch viele Menschen, die halten das für fromme Phantasie und religiöse Propaganda. Und sie verweisen darauf, dass auch nach Ostern und bis heute Angst und Not, Gewalt und Schuld, Tod und Verderben das Leben unzähliger Menschen in tiefes Leid stürzen. Nicht wenige reagieren allergisch, wenn jemand vom endgültigen großen Sieg des Lebens faselt (wie sie manchmal sagen), während gleichzeitig die Zahl der Menschen, die weltweit durch das kleine Virus gestorben sind, auf drei Millionen zueilt. Bisher ist noch keiner zurückgekommen, sagen sie. So etwas gibt es nicht.
Da stehen wir nun zu und mit Ostern, dem Fest, das die Gesellschaft spaltet.
Wir haben uns längst an diese Spaltung gewohnt. Vielleicht sehen wir sie auch als Ausdruck von Freiheit und Pluralismus: Die Zeit der Bevormundung sollte vorbei sein. Heute darf jeder glauben und feiern, was er oder sie will.
Für uns Christen wäre das allerdings eine recht bequeme Ausrede. Ostern ist schließlich das größte Fest, das den christlichen Glauben überhaupt erst begründet. Und der ist der Bibel zufolge weder Selbstzweck noch Privatsache: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1Tim2,4). Dazu hat Jesus seine Jünger zu allen Völkern geschickt (Mat28,18-20). Er hat sie zu Aposteln erwählt (Apg1,2), ihnen die Kraft des Heiligen Geistes verliehen und sie als seine Zeugen bis an das Ende der Erde (Apg1,8) gesandt.
Wenn das Wort von der Auferstehung heute einem Großteil der Menschen in unserer Gesellschaft fremder und abwegiger als die Rede vom Osterhasen erscheint, dann kann uns das nicht unberührt lassen und gleichgültig sein. Oft genug geht diese Spaltung auch mitten durch die Familien und Freundeskreise.
2.
Wie kommt es zu dieser Spaltung und wie können wir damit umgehen?
Auf diese Frage lassen sich ganz unterschiedliche Antworten geben:
Die Einen sprechen von der göttlichen Vorsehung und Bestimmung und sagen, dass der Mensch nicht von sich aus zu Gott gelangen kann. Es liegt allein an Gottes Willen, wer zum Glauben findet.
Die Anderen verweisen auf unser modernes Weltbild und erklären, dass die alten Vorstellungen von übernatürlichen Vorgängen und Wundern heute schlicht und einfach überholt sind und deshalb ins Museum gehören.
Beide Erklärungen sind Ausdruck der Spaltung, aber sie tragen nichts zu ihrer Überwindung bei. Im Gegenteil: Wo sie aufeinandertreffen, wird die Spannung zwischen ihnen sehr deutlich sichtbar. Das führt dann sehr schnell auch zum Unverständnis und zur Spannung zwischen den Menschen, die diese gegensätzlichen Positionen vertreten und behaupten wollen.
Wer solche Streitgespräche einmal geführt hat, kommt in den meisten Fällen bald zu dem Schluss: Das bringt doch nichts!
Von daher ist es sehr verständlich, dass wir diese heiklen Themen lieber ausklammern und uns auf das konzentrieren wollen, worüber sich auch mit Andersdenkenden reden lässt. Man muss ja schließlich im praktischen Leben miteinander auskommen. Deshalb erscheint es unvermeidlich, dass wir manches Ungeklärte einfach stehen lassen oder – um die Gefahr des Anstoßes zu reduzieren – einfach unter den Teppich kehren.
Allerdings bleibt auch das nicht ohne Folgen: Unser Glaube gerät durch diese Haltung in die Gefahr, allmählich seine Sprache und sein Profil und in der Folge dessen auch seine Relevanz für das Leben zu verlieren. Genau das empfinden heute auch viele Menschen, die sich selbst als spirituell verstehen: Der christliche Glaube interessiert sie dabei nur wenig, weil sie von ihm kaum noch etwas erwarten. Die Kirche tut in ihren Augen zwar viel und durchaus auch viel Gutes. Aber was hat sie heute noch zu bieten, was andere nicht auch und oft viel zeitgemäßer und professioneller anbieten?
In einer solchen Situation scheint es mir höchste Zeit für eine Art geistigen und geistlichen Frühjahrsputz zu sein.
Das bedeutet, dass wir an die Fragen und Probleme heran müssen, die wir lange Zeit unter den Teppich gekehrt haben. Und dass wir das alte Entweder – Oder in Frage stellen, das uns in diese Lage geführt hat.
Bei dieser kritischen Inspektion in beide Richtungen wird folgendes sichtbar:
- Auf der einen Seite ist der christliche Glaube nicht an eine bestimmte Weltanschauung gebunden, sondern wird von einer inneren Erfahrungswirklichkeit angetrieben, die sich seit zweitausend Jahren immer wieder neue Sprach- und Ausdrucksformen schafft. Das ist ein spannungsreicher und oft auch schmerzlicher Prozess, der schon im Neuen Testament beginnt. Ohne dieses dynamische Potential hätte der Glaube den großen Sprung aus dem relativ kleinen Bereich des jüdischen Lebens und Denkens in die Weite der hellenistisch geprägten Kultur des römischen Weltreiches und darüber hinaus in die Globalität unserer Zeit nie geschafft.
- Auf der anderen Seite hat auch die moderne Aufklärung kein endgültiges Weltbild hervorgebracht, sondern nur dem Prozess der fortlaufenden Kritik und Erneuerung unseres Wissens einen neuen Impuls gegeben. Darin treten auch und gerade die Voraussetzungen, Bedingungen, Widersprüchlichkeiten und Grenzen unseres Erkennens und Verstehens immer deutlicher hervor. Wir selbst sind und bleiben auch mit unseren Einsichten und Gedanken immer in die vielfältigen Zusammenhänge unseres Lebens und unserer Geschichte eingebunden, ohne uns jemals darüber erheben zu können. In der Sprache der Bibel wird diese Wahrheit mit dem Begriff unserer Geschöpflichkeit zum Ausdruck gebracht.
Was bedeutet das alles für unser Fragen nach der Wahrheit und Wirklichkeit unseres Glaubens?
Zunächst sicher erst einmal, dass sich beide Seiten neu auf ein Gespräch einlassen sollten. Die fundamentale Ablehnung oder Ausklammerung der gegenteiligen Meinung verkennt nämlich, dass auch die jeweils andere Position einen Teil der Wahrheit auf ihrer Seite haben könnte. Nach diesen Wahrheitsmomenten zu fragen, mag erst einmal unbequem sein, weil dafür die gewohnten Denkmuster verlassen werden müssen. Am Ende aber wird es für alle ein Gewinn sein, wenn daraus eine tiefere Einsicht in unsere ungeteilte Lebenswirklichkeit hervorgeht.
Für erwachsene Christen sollte es heute kein allzu großes Problem mehr sein, die seit der Aufklärung gewonnenen Erkenntnisse anzuerkennen. Die Bibelwissenschaft hat selbst aufgedeckt, dass die Heilige(n) Schrift(en) von Menschen in der Sprache und den Vorstellungen von der Welt geschrieben wurden, die zu ihrer Zeit gültig waren, und dass sie schon in sich selbst eine Vielfalt von Anschauungen und Aussagen widerspiegeln. Diese können weder untereinander noch mit den Erkenntnissen unserer Zeit zu einem widerspruchsfreien System von einheitlichen Lehraussagen zusammengefasst werden. Das macht unseren Glauben an Gott aber gerade nicht kleiner. Im Gegenteil: Es bewahrt uns vor dem zwar verständlichen, aber dennoch törichten Versuch, die letzte Wahrheit von Gott und der Welt in abgeschlossenen menschlichen Gedankengebäuden fixieren zu wollen. Das immer wieder neue Scheitern solcher Versuche zeigt uns auch, dass es hier um Größeres geht, als wir begreifen und dingfest machen können.
Komplementär dazu gilt es auf der anderen Seite endlich zu verstehen, dass der christliche Glaube mit den Erkenntnissen der historischen Bibelkritik nicht einfach abgehakt und erledigt ist, sondern nach wie vor eine besondere Dimension der Wahrheit zur Sprache bringen kann und will, die darauf wartet, neu interpretiert und verstanden zu werden. Eine Dimension der Wahrheit, nach der es zu fragen lohnt, weil sie unser Leben tiefer, reicher und vor allem menschlicher macht.
3.
Doch nun wieder zurück zu Ostern und dem für das Neue Testament und den christlichen Glauben zentralen Bekenntnis von der Auferstehung Jesu von den Toten. Paulus, die vier Evangelien und die anderen Schriften des Neuen Testaments erzählen davon auf sehr unterschiedliche Weise. Eine detaillierte Darstellung der einzelnen Positionen ist hier weder möglich noch nötig. Wer sich darüber genauer informieren möchte, findet einen guten Einstieg samt weiterführenden Literaturhinweisen unter https://de.wikipedia.org/wiki/Auferstehung_Jesu_Christi
Bei aller Vielfalt ist jedoch eines klar: Bei der Rede von der Auferstehung Jesu handelt es sich nicht einfach nur um ein weiteres Wunder in der an Wundergeschichten reichen Erzählwelt der Spätantike, zu der auch das Neue Testament gehört. Hier geht es vielmehr um eine grundlegende Erschütterung und Veränderung dieser Erzählwelt und der sie bestimmenden Mächte und Gesetze selbst. Die Menschen sahen sich mit ihrem Leben in einen Kampf hineingestellt, in dem der Tod als der letzte Feind (1Kor15,26) galt.
Mit dem Tod Jesu war auch für seine Jünger und Anhänger alle Hoffnung auf das Heil und das neue Leben, wovon Jesus gesprochen hatte, zunichte gemacht. Sie waren handlungsunfähig und gelähmt von Entsetzen, Angst und Schmerz, als Jesus am Kreuz zu Tode gefoltert wurde.
Und dann??
Dann muss es eine Erschütterung und Unterbrechung dieser scheinbar so unumstößlichen Gewissheit seines Todes gegeben haben.
Natürlich können wir nicht wissenschaftlich verifizieren, was damals genau geschehen ist. Wir können aber sehr wohl und sehr deutlich nachvollziehen, dass aus diesem schrecklichen und zudem noch schmachvollen und schandbaren Tod plötzlich und völlig unerwartet eine ganz neue Lebenserfahrung hervorbrach. Dabei war es nach den recht unterschiedlichen Überlieferungen der Evangelien zunächst alles andere als klar und gewiss, was hier geschah.
Am Anfang standen Zittern und Entsetzen. Die Frauen flohen am Ostermorgen vor dem leeren Grab Jesu und sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich (Mark16,8).
Als die Jünger nach Lukas schließlich doch von den Frauen die Botschaft von der Auferstehung hörten, erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. (Luk24,11). Erst in einer weiteren ebenso eigentümlichen wie eindringlichen Begegnung auf dem Weg der Trauer wurden zwei anderen Jüngern die Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. (Luk24,31).
Nach Matthäus findet die entscheidende Begegnung erst später auf einem Berg in Galiläa statt, wo Jesus seinen Jüngern den sogenannten Missionsbefehl gibt (Mt28,16-20).
Bei Johannes schließlich wird der Zweifel in der Geschichte mit Thomas sogar direkt thematisiert. Dabei läuft alles auf das entscheidende Wort zu: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! (Joh,20,29).
Diese Hinweise machen deutlich, dass es bei der Rede von der Auferstehung Jesu gerade nicht darum geht, ein besonderes und spektakuläres Ereignis in den Kontext unseres Sehens und Verstehens und schließlich in ein festes Weltbild einzuordnen. Im Gegenteil: Unser herkömmliches Verständnis vom Leben und unser Bild von der Welt wird durch dieses Wort aufgebrochen und für eine neue Erfahrung geöffnet.
Mit den gewohnten Begriffen unseres Alltags lässt sich das logischerweise nur unzureichend zum Ausdruck bringen, weil uns diese Erfahrung ja gerade auf den Weg zum Überschreiten des Gewohnten führt. Hier geht es um den tiefsten Sinn von Glauben, um eine neue Spiritualität, eine von Gott her veränderte Sicht des Lebens und ein neues Verständnis unserer selbst, was zu einer tiefgreifenden Veränderung unserer bisherigen Auffassungen und Einstellungen führt und uns nach den Worten des Paulus gleichsam zu neuen Menschen werden lässt.
Paulus, der zunächst die Gemeinde Gottes verfolgt hatte, hat sich zuletzt auch selbst ohne jeden historischen Bruch in die Reihe der Osterzeugen eingereiht (1Kor15,8f.) und einen direkten Zusammenhang zwischen der Osterbotschaft und unserer neuen Existenz gesehen, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. (Röm6,4) .
Im 1. Petrusbrief, der vermutlich um das Jahr 90 geschrieben wurde, wird die mit der Ostererfahrung eröffnete neue Existenzweise des christlichen Lebens schließlich sogar mit dem Begriff von der Wiedergeburt beschrieben. Nach den vorausgehenden Absender- und Empfängerangaben beginnt diese späte Schrift des Neuen Testaments mit den Worten: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (1Petrus1,3).
Das ist der Spruch für den Sonntag nach Ostern namens Quasimodogeniti – was wie die neugeborenen (aus 1Petrus2,2) bedeutet – und uns zur Besinnung auf die Tiefe und Tragweite der Osterbotschaft einladen kann.
Ob wir dabei auch neu zu suchen beginnen und österliche Entdeckungen machen? Ostern ist ein spannendes Fest…