- Einführung
Mit dem Sonntag Invokavit beginnt die Passionszeit. Es ist die Zeit, in der wir an den Leidensweg Jesu denken, den er bis in den Tod am Kreuz gegangen ist.
Vor zwei Monaten haben wir Weihnachten gefeiert, das Fest der Freude, des Lebens und der Liebe. Jetzt liegen sechs Wochen ernster Besinnung auf das Leiden, auf den Tod und auf die Frage nach dem Bösen vor uns.
Das sind keine schönen Themen. Viele mögen sie deshalb nicht. Warum müssen wir uns das antun und uns überhaupt damit beschäftigen?
In Psalm 90,12 heißt es dazu: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Mit unseren Worten: Dass wir da nicht so unbedacht hineinschlittern. Und dass wir unterscheiden lernen, zwischen dem, was wir ändern und verhindern können, und dem, was wir annehmen müssen. Und dann auch lernen, wie wir es am besten ertragen können.
Wir sind da schon wieder ganz dicht bei unserem Dauerthema, dass uns alle so stark beschäftigt – bei der Pandemie, die allem Volk widerfahren ist.
Weil es sich dabei um eine Krankheit handelt, schauen wir vor allem auf die medizinischen und die gesundheitspolitischen Aspekte. Andererseits erleben wir aber gerade in dieser Krise sehr deutlich, dass dieses Leiden unser ganzes Leben in seinen vielfältigen Zusammenhängen berührt, verändert und in Frage stellt. Darüber wird tagtäglich in den Medien und sicher auch in den meisten Familien gesprochen.
Hat dieses Leiden eigentlich auch etwas mit unserem Glauben und mit Gott zu tun? In früheren Zeiten hätte man sich über die Frage sehr gewundert. Eine Seuche – wie man damals anstelle von Pandemie sagte – muss ja eine Ursache haben. Und da Gott doch alles in der Hand hat, musste es folglich eine Strafe Gottes sein. Oder – das war die zweite Erklärungsmöglichkeit – ein Werk des Teufels.
Eine solche Theo-Logik erscheint uns heute als völlig unangemessen. Wir suchen die natürlichen Ursachen. Wir identifizieren und erforschen ein Virus als Krankheitserreger und wir entwickeln ein ganzes Bündel von Schutz- und Abwehrmaßnahmen dagegen. Sollte man Gott oder gar den Teufel da nicht besser ganz aus dem Spiel lassen?
Da werden viele zustimmen. Doch andererseits erleben wir gerade in dieser Pandemie, dass ihre sehr komplexen Zusammenhänge weit über den Bereich der Naturwissenschaft und Medizin hinausreichen: unsere moderne Lebensweise, unsere Erwartungen, unsere Hoffnungen und Ängste, unser Verhalten und unsere Gedanken, Ideen und Theorien, unsere Kommunikation – alles das hängt nicht nur lose mit Corona zusammen, sondern spielt eine sehr wichtige Rolle bei unserem Verständnis und bei unserem Umgang mit diesem Leiden. Und damit stehen wir auch wieder vor der sehr weitreichenden Frage nach Gott und nach dem Bösen.
Was sagt der christliche Glaube dazu? Eine erste Orientierung kann uns der Leit- und Wochenspruch für den Sonntag Invokavit aus 1Joh3,8b geben:
Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.
Das klingt dramatisch. Wie kann man sich das vorstellen?
Das Evangelium dieses Sonntags aus Mt 4,1-11 zeigt, dass dabei nicht himmlische und höllische Heerscharen mit Feuer und Schwert aufeinanderprallen müssen.
Es geht viel alltäglicher und zugleich subtiler zu: Der Teufel versucht es über die ganz menschlichen Bedürfnisse, die Jesus auch kannte: Hunger. Etwas Besonderes sein. Macht und Einfluss gewinnen. Er argumentiert dabei sogar mit der Bibel.
Im Wort für den Tag auf www.taborkirche.de kann unter dem 19.02.21 in einem „Interview mit dem Teufel“ nachgelesen werden, wie diese Versuchungs-geschichte gelaufen ist. Jesus weist die Versuchungen des Teufels zurück und macht damit sein Bemühen zunichte.
2. Entfaltung
Nun kann man natürlich gegenüber diesen Erzählungen und Vorstellungen vom Teufel einwenden, was moderne Menschen seit der Zeit der Aufklärung gern einwenden: Das ist doch alles Mythologie! Also recht märchenhafte alte Geschichten, von denen wir uns längst freigemacht haben.
Das mag so klingen und es mag so scheinen, aber los sind wir den Teufel deshalb noch lange nicht. Denn wir Menschen geben ihm immer wieder neuen Raum und neue Macht.
Das zeigt sich auch an der Gestalt des Judas Iskariot. Von ihm erzählen die Evangelien Ungeheuerliches: Eben noch hat er als Jünger und Freund Jesu im engsten Kreis mit ihm das letzte Mahl gefeiert. Und kurz darauf hat er Jesus seinen Verfolgern ausgeliefert und so seine Tötung durch die Römer vorangetrieben. Wie konnte das geschehen? Es bleibt vieles im Dunkeln. Es war Nacht, heißt es am Ende einer dieser Geschichten in Joh13,30 betont doppelsinnig.
Heute wird versucht, neues Licht in den Fall des Judas zu bringen. Sein Beiname Iskariot – Mann aus Keriot – deutet auf eine judäische Abstammung hin. Die anderen Jünger waren Galiläer. Wollte Judas Jesus zum Handeln gegen die römischen Besatzer drängen, dass er Judäa endlich zur Freiheit führte? Oder handelte er gar in geheimem Einvernehmen mit Jesus, damit Gottes Heilsplan erfüllt wird? Einige sind der Auffassung, dass Judas deshalb in bestimmten frühchristlichen Kreisen eine besondere Verehrung genossen hat.
Unsere vier Evangelien aber sehen Judas als Verräter. Sie unterstellen ihm die niedrigsten Motive: Geldgier. Dreißig Silberlinge, nennt Matthäus.
Und schließlich wird der Teufel ins Spiel gebracht. In Judas ist der Satan gefahren. Judas ist rettungslos verloren. Und damit nicht genug: Diese Rede vom Teufel wirkt auf tragische Weise noch viel weiter fort: Judas wird zur Symbolfigur für das jüdische Volk. Der vermeintliche Mythos vom Teufel hat sehr reale teuflische Folgen und bringt unermessliches Leid über sehr viele Menschen.
Das ist die tiefe und bittere Wahrheit der Redewendung, wenn man vom Teufel spricht, wenn man den Teufel an die Wand malt und auf Menschen projiziert…
…dann kommt er, dann erscheint er, dann bringt er Leid, Tod und Verderben mit sich.
Das zieht sich durch die ganze Geschichte:
von den Judenverfolgungen in alter und neuer Zeit,
über den Hexenwahn und die Verbrennung unschuldiger Frauen,
über die Greueltaten der Nationalsozialisten bis hin in unsere Gegenwart.
Überall, wo Ängste geweckt und Hass geschürt und andere Menschen verteufelt werden, gewinnt der böse, zerstörerische Ungeist an Macht und wachsenden Einfluss auf die Menschen.
Am Epiphaniastag, vor sechseinhalb Wochen, war das sogar live im Fernsehen zu verfolgen, beim Sturm auf das Capitol in Washington.
3. Vertiefung
Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er.
Sollte man also besser nicht vom Teufel reden? Am besten gar nicht an ihn glauben?
Bei dem Wort glauben müssen wir im Deutschen genau hinhören, was gemeint ist:
etwas für wahr halten oder – in Anlehnung an eine Formulierung Martin Luthers –
jemandem mit Respekt, Liebe und Vertrauen begegnen.
Was den Teufel betrifft, kann es nur das erste sein. Er ist nach wie vor nicht zu unterschätzen oder gar zu ignorieren. Wer ihn als bloßes Hirngespinst abtun will, verkennt, dass solche Hirngespinste auf sehr tückische und reale Weise unser Leben bedrohen. Die Werke und Wirkungen des Teufels aufzudecken, beim Namen zu nennen und unschädlich zu machen, dass ist eine zentrale Aufgabe Jesu und auch des christlichen Glaubens.
Bei dieser Aufgabe müssen wir aber sehr – fast hätte ich gesagt: höllisch – aufpassen, dass wir nicht die alten Fehler wiederholen. Die Fehler, die auch die Evangelisten gemacht haben. Wir dürfen den Teufel nicht an die Wand malen und auf Menschen projizieren. Denn damit machen wir ihn nur größer.
Wir müssen ihm vielmehr seine Macht entziehen: den Keim der Angst, die Wurzel des Hasses und die Auswüchse der Feindschaft. Das schaffen wir nicht aus eigener Kraft. Dazu brauchen wir – wie Luther es formuliert – ein gute Wehr und Waffen, mit denen wir dem Bösen um uns und auch dem Bösen in uns entgegentreten können. Dazu brauchen wir die Kraft, die Weisheit und vor allem die Liebe Gottes, die uns in besonderer Weise fähig machen. Nämlich dazu, dass wir Böses nicht mit Bösem zu überwinden versuchen. Sondern – wie Paulus Röm 12,21 schreibt:
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Der entscheidende Unterschied in unserem Verhältnis zu Gott und zum Teufel ist letztlich der:
Wir müssen weiter über den Teufel und das Böse reden, damit wir uns nicht in falscher, scheinbar aufgeklärter Sicherheit wiegen. Aber wir reden nicht mit dem Teufel.
Bei Gott ist es genau umgekehrt. Es bringt oft nicht viel, wenn wir über Gott reden und spekulieren, weil wir ihn mit unserem Reden und Denken nicht erfassen können. Aber wir können, dürfen und sollen mit Gott reden. Damit seine Kraft, seine Weiheit und seine Liebe unseren Geist und unser Herz erfüllen und uns zu den Menschen machen, mit denen er sein Reich aufbauen kann, um das wir im Vaterunser immer wieder bitten.
Amen